Weltpremiere für den Kia Stinger - der gleich mal austeilt.
Der Stachel sitzt – und wird wehtun. Nicht dem Autokäufer, sondern den Mitbewerbern. Kia präsentiert offenen Mündern seinen neuen Imageträger namens Stinger (sinngemäß übersetzt „Der Zustecher“, Sting = Stachel).
Ohrfeige 1: Die deutschen Premium-Autobauer
In den Preislisten der deutschen Premium-Hersteller kann man sich als unbedarfter Kunde ganz schön verzetteln. Nimmt man bei BMW denn nun einen 3er GT oder ein 4er Gran Coupé – oder belässt man es doch bei der 3er Limousine? Darf es ein Audi A4, ein A5 Sportback oder wenn Geld weniger eine Rolle spielt doch ein A7 Sportback sein? Nutzt man die Gunst der Stunde und holt sich bei Mercedes ein CLS-Auslaufmodell anstatt einer ordentlichen C-Klasse?
Kia hat auf alle diese Fragen eine Antwort: Stinger. Mit 4,80 Metern Länge positionieren die Koreaner ihr neues Topmodel(l) geschickt zwischen Mittel- und Oberklasse.
Ohrfeige 2: Die italienischen Autobauer
Nummer zwei ist vielleicht ein wenig ungerecht. Alfa Romeo streckt sich noch nach dem langen Dornröschenschlaf, die Giulia ist ein prima Anfang und natürlich wird mit dem Stelvio erst einmal ein SUV (dazu unten mehr) den kaufkräftigen Kunden vorgesetzt. Aber unbestreitbar stellt der Kia Stinger jedes tollkühne Gedankenspiel an einen möglichen großen Alfa Romeo in den Schatten. Wer also nicht darauf warten will, holt sich einfach den Kia. Der nebenbei drahtiger und rassiger aussieht als der leicht aufgequollene Maserati Ghibli ( zum Fahrbericht des Ghibli geht hier ). Den übrigens viele Menschen nicht sofort als Maserati erkennen, also fällt der unbedingte Vorteil der „starken Marke“ auch flach.
Ohrfeige 3: Die amerikanischen Autobauer.
Cadillac versucht aktuell das wievielte Comeback? Diesmal wieder mit kryptischen Modellbezeichnungen und einer Modellreihe, die nur als starke V-Modelle so richtig Emotionen weckt. Chrysler – und damit FCA, siehe Ohrfeige 2 – hätte und schon längst mal einen wirklich neuen 300C präsentieren dürfen. So stiehlt der Kia Stinger ihnen auf der Heimatmesse in Detroit im wahrsten Sinne des Wortes die Show.
Ohrfeige 4: Die SUV-Euphoriker
Danken wir Kia dafür, dass man nicht der naheliegenden Versuchung erlegen ist, das markeneigene Leuchtturmprojekt als SUV-Crossover-Modell zu bringen. Schön, dass man sich auf das klassische Baumuster der sportlichen Limousine besinnt und zeigt, dass man auch damit in diesen Zeiten noch Begehrlichkeiten wecken kann.
Ohrfeige 5: Kia selber
Wenn die Sabberfäden in den Mundwinkeln langsam trocknen, darf auch der Hersteller des Stinger selbst ins Gebet genommen werden: Wir freuen uns natürlich über den Hinterradantrieb mit der Option aus Allrad (die ich, dazu stehe ich, ziehen würde). Aber liebe Koreaner, ihr wollt mit dem Stinger doch auch in den USA und dort vor allem an der Westküste punkten. Wo ist der Plug-in Hybrid oder zumindest der Hybrid-Antrieb? Eine elektrifizierte Version ist nicht mal angekündigt, geschweige denn ein vollelektrischer Stinger. Da wird der Start-up CEO im Silicon Valley aber weiterhin zum Tesla Model S greifen.
Kia stellt für den Stinger zwei Motorversionen in Aussicht: Basis ist ein 2,0 Liter Vierzylinder, der für den US-Markt mit einer Leistung von 188 kW/255 PS angegeben wird. Im kleineren Bruder Optima gibt es eine 245 PS-Ausbaustufe seit kurzem zu kaufen, hier findet Ihr den Fahrbericht dazu – mit aller Kritik am nicht hellwachen Antrieb samt erstaunlichem Durst.
Mit wenig fossilem Sprit wird sich auch der Stinger GT nicht zufrieden geben: Ein 3,3 Liter V6 mit Doppelturbo bringt es hier auf voraussichtlich 286 kW/365 PS und ein maximales Drehmoment von 510 Nm schon ab 1.300 U/min. In 5,1 Sekunden soll der Stinger GT Tempo 100 erreichen. Herrlich unverkrampft gibt sich Kia auch bei der anvisierten Spitzengeschwindigkeit von 269 km/h – also ohne elektronische Abregelung.
Wenn nach so vielen Watschen (bayerisch für Ohrfeige) die Augen langsam abschwellen und man wieder etwas sieht, erkennt man im Design des Kia Stinger eine weitere Offenbarung: Er geht seinen eigenen Weg, das Auge kann sich in vielen überraschenden Details aufhalten und sich wenn überhaupt an der in die Seitenflanke gezogenen Rückleuchtenleiste stören. Da fällt auf: Kia hat es geschafft, mit seinem Leuchtturm-Produkt auch die günstigere Optima-Baureihe nochmals aufzuwerten. Der Dachverlauf, die Gürtellinie – das wirkt alles wie die logische Konsequenz aus dem Optima-Design, wirkt aber dennoch eigenständig und nochmal hochwertiger. Dabei betonen die großen Blechflächen die Antriebskraft auf der Hinterachse. Und das wird er können, hat doch ex-BMW M Mann Alfred Biermann bei der Entwicklung des Stinger mitgemischt, der übrigens als erster Kia mit adaptivem Fahrwerk und fünf einstellbaren Fahrmodi kommt.
Im Innenraum entzücken die runden Luftaustrittsdüsen, überrascht das vom Sorento übernommene Lenkrad (warum auch nicht?) und zeigt sich wie bei allen neuen Kias ein freistehender Monitor. Dessen breiter Rahmen wirkt nicht ganz so frisch wie der Rest des Stinger. Jammern auf hohem Niveau, trotz der sicherlich tiefen Sitzposition.
Ich habe es in diversen Erlebnisberichten zu Kia-Modellen bereits beschrieben und wiederhole mich gerne: Es gibt keinen Grund mehr, Kia nicht auf der Einkaufsliste zu haben. Und das nach dieser Kostprobe auch nicht bei den großen Limousinen. Doch, etwas hält vom Sturm auf die Autohäuser ab: Vor Ende des Jahres kommt der Stinger bei uns leider nicht auf den Markt. Zeit genug, erst einmal ein großes Sparschwein zu kaufen.