Wie erwachsen ist der Seat Ibiza mit dem 150 PS starken TSI-Benziner?
In mediterranem Klima wachsen viele Pflanzen besonders gut. Das gilt mittlerweile auch für die spanische Volkswagen-Tochter Seat. Die aktuellen Produkte und ein kompetentes Management sorgten für den langerwarteten Erfolg.
Dem Kernmodell der Marke, des Kleinwagen Ibiza, kommt dabei trotz des verkaufsstarken Leon und des SUV Ateca eine tragende Rolle zu. Und so durfte der Seat Ibiza der fünften Modellgeneration im Frühsommer 2017 als erster Kleinwagen des Konzerns auf den MQ-Baukasten (MQB A0) wechseln – der VW Polo kam einige Monate später .
Seat Ibiza, der Fünfte, tritt selbstbewusster auf denn je. Auf 4,06 Meter streckt er sich aus der Kleinwagenklasse frech in Richtung Kompaktsegment und bedient sich dabei auch der Designlinie des größeren Leon. Dabei vergaßen die Designer aber nicht, den gewohnten Linien eine ausreichende Portion Moderne beizumischen, der Ibiza tritt trotz der Familienähnlichkeit eigenständig und frisch auf.
Mit der Betonung der geraden Linie wahrt er auch einen optischen Abstand zum Konzernbruder VW Polo. Aber die Rolle der jugendlichen-frechen Alternative hat der Ibiza in seinem Streben nach Ernsthaftigkeit verloren.
Innen empfängt der ausschließlich mit fünf Türen angebotene Seat Ibiza alle Passagiere mit bequemen Sitzgelegenheiten. Fahrer und Beifahrer haben in alle Richtungen fast verschwenderisch viel Platz, selbst die Kopffreiheit für große Fahrer ist trotz optionalem Glasdach mehr aus ausreichend.
Der Fond ist ausreichend geräumig, mancher Kompakte bietet weniger Platz für die Knie. Außerdem ist die Rücksitzbank ausreichend groß, drei Kopfstützen und Klammern zum ordentlichen Verstauen nicht benötigter Sicherheitsgurte zeigen Verständnis für Praktikabilität und Liebe zum Detail.
Mal eben kurz vor Dienstschluss wurden dagegen wohl die Zugänge für die Isofix-Verankerungen in den Ibiza hineinkonstruiert. Wer öfter Kindersitze einbaut, wird schnell über die schlecht erreichbaren Verankerungen fluchen und durch das Herumgestochere den Sitzbezug in Windeseile aufreißen.
Schnell zurück nach vorne, wo der Ibiza mit der erwartbaren Konzernergonomie punkten kann. Die analogen Instrumente (ein digitales Display behält der Polo für sich, so viel Hierarchie muss sein) sind hervorragend ablesbar, alle Schalter und Anzeigen sind da, wo man sie erwartet.
Die Gleichheit erstreckt sich bis hin zu den Lenkstockhebeln, deren glänzende schwarze Ränder sehr hübsch aussehen – das aber auch z.B. im Skoda Superb tun. Das Streben nach gemeinsamer Perfektion und dem bestmöglichen Einkaufspreis führt langsam aber sicher dazu, dass sich die einzelnen Marken und Modelle von VW, Seat und Skoda zu wenig voneinander unterscheiden.
Das gilt auch für den Seat Ibiza. Alles fühlt sich an wie bei anderen Konzernprodukten, er riecht so wie diese und ist genauso perfekt bedienbar. Kommen denn dann beim Fahren die Besonderheiten durch?
Unter der Motorhaube wartet im Testwagen in der Tat eine Besonderheit. Noch vor dem Polo fährt der Seat Ibiza mit dem 1,5 Liter großen TSI „Evo“-Vierzylinder vor, der im Teillastbetrieb zwei Zylinder abschaltet.
Im VW Golf, dessen Fahrbericht mit dem 1,5 TSI Ihr hier lesen könnt, gefällt der Motor als angenehmer Begleiter. Macht er den kleineren und mit 1.184 Kilogramm Leergewicht leichteren Ibiza zum Sportler?
Lassen wir die Katze aus dem Sack, vor allem auch, weil es der Ibiza nicht tut. Seine bis zu 150 Pferdchen sind bei Bedarf zur Stelle, der Wunsch nach mehr Dynamik kommt selten bis nie auf. Wer Wunsch nach mehr Drama aber schon.
Dem jugendlichen Markenimage folgend dürfte der Seat Ibiza, vor allem in der sportlichen FR-Ausstattung durchaus mehr Charakter zeigen. Klar, der Abstand zum grundlegend als Sportler VW Polo GTI konzipierten 200 PS-Kracher muss gewahrt bleiben, aber der Ibiza FR verliert sich ein Stück weit bei seinem Streben nach Perfektion.
Der Vierzylinder-Turbo schickt bereits ab 1.500 Umdrehungen ein ausreichendes Drehmoment von 250 Newtonmeter in Richtung Kurbelwelle, wird nie laut, schaltet seine beiden manchmal nicht benötigten Zylinder unmerklich ab und bleibt unauffällig. Für manche Kunden vielleicht zu unauffällig – außer an der Tankstelle, wo er sich über den Testzeitraum mit 7,8 Litern Super alle 100 Kilometer nachfüllen lässt.
Das Sportfahrwerk der FR-Ausstattung, im Testwagen mit optionalen 18-Zoll-Leichtmetallrädern kombiniert, stolpert bei niedrigen Geschwindigkeiten und schlecht ausgebesserten Straßen teilweise zu hart über Kanten und Fugen, bei höheren Reisegeschwindigkeiten beruhigt es sich.
Ein Stück weit kann der Fahrer das Gehoppel beeinflussen, wenn er beim Autokauf 280 Euro in die Option Drive Select investiert hat. Dann kann man per Fahrmodus-Schalter nicht nur die Gasannahme und das Lenkverhalten, sondern auch die Dämpfercharakteristik in zwei Stufen (Sport und Komfort) anwählen, wie im Polo ist das Fahrwerk aber nicht adaptiv.
Die Sportsitze des Seat Ibiza FR sind ehr komfortabel gepolstert und bieten eine ausreichend hohe Lehne auch für große Menschen, Seitenhalt ist vorhanden. Aber auch hier zeigt der Ibiza ein Streben nach der goldenen Mitte, zu sehr sollen die Passagiere nicht in die Zange genommen werden.
Da müssen es die wertige, optionale Alcantara-Kunstlederausstattung und die zweifarbige Ambientebeleuchtung (weiß oder rot) in den Türen richten, für Aha-Effekte zu sorgen. Was auch gelingt.
Zeit für ein Fazit: Der Seat Ibiza FR ist mit dem 1.5 TSI-Motor mehr als ein erwachsen gewordener Kleinwagen. Er ist ein in vielen Punkten sehr perfektes Auto, groß genug für die Alltagsbedürfnisse vieler Kunden und kompakt genug für Garagen, Parkhäuser und Großstadtverkehr.
Erwachsen zeigt sich auch das Preisgefüge, selbst wenn man den Ibiza nicht so opulent ausstatten muss wie den Testwagen. Immerhin 29.259 Euro kostet der laut Liste, hat also gegenüber dem Basispreis des Modells (21.090 Euro) Optionen für 8.169 Euro an Bord. Inklusive einiger Positionen, die mancher Kunde gewiss für entbehrlich hält: die Vorbereitung einer Anhängevorrrichtung (150 Euro), das Glasschiebedach (790 Euro), die 18-Zöller (420 Euro), rot lackierte Bremssättel (200 Euro) oder die schicken roten Ränder an den Sicherheitsgurten (150 Euro).
Was fehlt? Ein eigener Charakter, mehr Ecken und Kanten – womit nicht das Design gemeint ist. Der AUTONOTIZEN-Wunschzettel an Seat beinhaltet zwei Alternativen, wovon nur die erste auch aktuell lieferbar ist: Der dynamische Ibiza FR mit dem kleineren 1.0 TSI-Dreizylinder mit 115 PS. Der kernigere Klang dürfte zumindest ein bisschen besser zur Sportausstattung passen.
Der ausgewogene 1.5 TSI dürfte mit dem nobleren Seat Ibiza Xcellence gut harmonieren, diese Kombination wäre also mein Vorschlag für die Preisliste. Bis dahin sorgt aber auch das bestehende Angebot trotz der kleinen Kritikpunkte für Partylaune. Dem Modellnamen der gehobenen Urlaubsinsel entsprechend eben nicht (mehr) auf Schnäppchenniveau.
Das AUTONOTIZEN-Video zum Seat Ibiza FR 1.5 TSI findet Ihr unter der Bildergalerie.
Technische Daten
Seat Ibiza FR 1.5 TSI EVO |
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Hubraum | 1.498 ccm |
Anzahl und Bauform Zylinder | 4 in Reihe |
Maximale Leistung kW / PS | 110 kW / 150 PS bei 5.000 - 6.000 U/min |
Max. Drehmoment | 250 Nm bei 1.500 - 3.500 U/min |
Getriebe | Sechsgang-Schaltgetriebe |
Beschleuningung 0-100 km/h | 7,9 Sekunden |
Höchstgeschwindigkeit | 215 km/h |
Norm-Verbrauch auf 100km | 4,9 Liter |
Verbrauch real auf 100km | 7,8 Liter |
Reifenmarke und –format des Testwagens | Bridgestone Blizzak LM32 215/40 R18 |
Leergewicht | 1.184 kg |
Länge / Breite / Höhe | 4.059 / 1.780 / 1.444 mm |
Grundpreis | 21.090 Euro |
Testwagenpreis | 29.259 Euro |