Er tat mir gut, obwohl ich ihn nie fahren konnte: der Alfa Romeo 164.
Ein runder Geburtstag als Bildnis für den Wandel der Autowelt: Während heute zumindest ein großer Teil der Hoffnungen von Alfa Romeo auf eine bessere Zukunft auf dem SUV Stelvio (und ein kleinerer Teil auf der Giulia) ruhen, war es vor 30 Jahren eine Stufenhecklimousine, die für einen Neuanfang stand.
Auf der IAA 1987, ein knappes Jahr nach der Übernahme von Alfa Romeo durch Fiat, stand der Alfa 164 als Premierenmodell auf der IAA in Frankfurt. Die Limousine der oberen Mittelklasse entstand bereits in Zusammenarbeit mit der späteren Konzernmutter sowie mit Saab. Die Modelle Fiat Croma, Lancia Thema, Saab 9000 und eben der Alfa 164 wurden gemeinsam entwickelt und bauten auf der gleichen technischen Plattform auf. Scharfe Betrachter erkennen übrigens bei allen vier Modellen die gleichen Türausschnitte der Karosserie als weitere Gemeinsamkeit.
Als Der Alfa 164 das erste Mal gezeigt wurde und dann 1988 beim Händler vor Ort seinen Auftritt hatte, war ich selber gerade zehn bzw. elf Jahre alt und in voller Blüte eines autointeressierten Jungen, der die Eltern zu samstäglichen Autohausbesuchen samt vorgegaukeltem Kaufinteresse zur Erhaschung bibelartig zu verehrender Prospekte und Preislisten zwang und sich gerne stundenlang im Studium der Hochglanzbroschüren verlor. Ich kann mich noch gut an den ersten Vierseiter über den Alfa 164 erinnern, außen Alfa-Rot mit der Zahl darauf. Seither pflege ich eine besondere Zuneigung zum 164er, stöbere (un-)regelmäßig in Gebrauchtwagenbörsen nach gut erhaltenen Exemplaren.
Zuerst kam er als 3.0 V6 mit 192 PS auf den Markt, die Katalysator-Version leistete 184 PS. Auf dem italienischen Heimatmarkt und seiner Luxussteuer auf Autos über zwei Liter Hubraum damals wichtiger war der 2.0 Twin Spark mit seinem eben zwei Liter großen Vierzylinder und 148 PS bzw. 143 PS mit Katalysator. Ihn gab es auch als 2.0 Turbo mit 178 PS, den gleich großen V6 Turbo mit gar 204 PS. Kleines Detail: die Vierzylinder-164er hatten vier Radmuttern, während der 3.0 V6 seine Felgen mit fünf Schrauben an sich hielt.
Die Form des 164 unterwarf sich dem Diktat des Keils. Die flache Front mit dem kleinen, aber dennoch dominanten Alfa-Scudetto (ein Element, das ich auch heute gerne wieder an modernen Alfas sehen würde) und die scheinbar mit einem Lineal gezeichnete Seitenlinie gipfelten in einem Heck, dessen schmales Leuchtenband dem damals heranwachsenden Jungen vorkam wie ein Raumschiff aus der Zukunft. Mich störte, im Gegensatz zu vielen Kunden, die damit einhergehende hohe Ladekante natürlich nicht.
Rückblickend finde ich, dass das ruhige und klare Pininfarina-Design des Alfa 164 ihn heute zu dem Langzeitklassiker macht, der ein späterer 166 nie sein kann. Selbst die größeren Schürzen des 164 Quadrifoglio mit damals üppigen 200 PS (später als Allradler Q4 sogar mit 232 PS) störten die Linie nicht, ein bisschen uncooler wurde er erst 1993, als der stärkere 164 Super mit bis zu 211 PS beim Dreiliter-V6 parallel mit größeren Schürzen die reduzierte Gestaltung zu verraten versuchte. Gottseidank hatte Alfa Romeo den ursprünglichen 164 weiter angeboten, hier leistete der V6 dann maximal 180 PS.
Auch wenn der Alfa 164 in meiner subjektiven Kindheitserinnerung ein großer automobiler Held war: der Heilsbringer für die damals strauchelende Marke war auch er nicht. 268.757 Alfa 164 wurden insgesamt in zehnjähriger Bauzeit von 1987 bis 1997 gebaut, womit er vor allem in Deutschland keinen wirklichen Stich gegen BMW 5er, Mercedes W124 und Co. landen konnte. Auch die eigenen Eltern konnte ich damals nicht zum 164 überreden. So bleibt er mir eben weiterhin als Prospekt- und Posterheld des eigenen Kinderzimmers im Gedächtnis, auch die eigene Piefigkeit wird mich wohl von der intensiveren Suche nach einem gut erhaltenen und günstigen Youngtimer abhalten. Es ist vielleicht besser so.
Lieber Alfa 164: ich bin Dich nie gefahren, habe nie länger als ein paar Minuten in Dir gesessen. Eine richtige Meinung darf ich also gar nicht haben, denn ob Du gut fährst, den Alltag meisterst und zuverlässig bist - ich weiß es nicht! Aus diesem Grund mache ich die Not zur Tugend und konserviere mir einfach meine Kindheitserinnerung an ein wahrlich großes Auto. Aus der Ferne: Alles Gute zum H-Kennzeichen!