Roundtable Alfa Romeo Giulia

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„Denn niemals gab es ein so herbes Los als Julias und ihres Romeos“

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Zwei potenzielle Kunden im Meinungstausch zur neuen Giulia

Während sich Julia und ihr geliebter Romeo in William Shakespeares Tragödie am Ende leider knapp verfehlen, soll das Gift in Form einer sexy Mittelklassebaureihe in der automobilen Realität auch wirken – aber statt dem Liebsten lieber die bösen Mitbewerber killen.

„Auferstanden aus Ruinen“ könnte der Titel einer Fortsetzungsgeschichte sein. Genauso inszeniert Alfa Romeo auch die lang erwartete Premiere der neuen Giulia. Im norditalienischen Arese wurden früher Alfa Romeo in großer Stückzahl produziert, das Werk war auch Geburtsort der ersten Giulia in den 1960er Jahren. Mittlerweile stehen dort in der Lombardei vor allem Industrieruinen herum, die noch verbleibenden Modelle MiTo und Giulietta werden längst in anderen Fabriken des Fiat-Konzerns montiert (wie übrigens auch…psst…die neue Giulia nicht in Arese vom Band laufen wird). Das alte Werk steht teilweise unter Denkmalschutz und war geschlossen – wie irgendwie die ganze Marke.

An diesem melancholisch-geschichtsträchtigen Ort eröffnet Alfa Romeo nicht nur sein neues Werksmuseum sondern zeigt, dass es weiter geht mit der Marke. Die neue Giulia steht auf dem Präsentationsteller vor ca. 500 versammelten Gästen und zeigt ihre Muskeln. Anfassen und Reinsetzen ist leider nicht erlaubt, es existieren noch nicht einmal offizielle Bilder des Innenraums – ebenso wenige Informationen gibt es über das Modellprogramm. Stattdessen steht heute alleinig die Botox-Silikon-Amphetamin-Version mit Mittelpunkt.

Quadrifoglio Verde – das vierblättrige Kleeblatt ist nicht nur Glücksbringer und Hoffnungsschimmer für Fiats Plan, die Marke Alfa Romeo wiederzubeleben, sondern vielmehr der Knüppel, der all den AMGs, Ms und S/RS-Modellen zwischen die Beine geworfen werden soll.

Man legt äußersten Wert auf die Information, dass niemand geringeres als die Kollegen von Ferrari den V6-Motor mit 510 PS entwickelt haben, der Giulia in nur 3,9 Sekunden auf Landstraßentempo katapultieren soll. Aber, lieber Leser, deswegen bitte nicht gleich aus dem Häuschen sein. Das gab es schon mal, eine italienische Limousine mit Ferrari-Motor: Den Lancia Thema 8.32 – sogar mit Pferdchen-Emblem auf der Karosserie. Ob wie bei den Deutschen Konkurrenten bei 250 Sachen der (Benzin-)Hahn abgedreht wird, ist noch nicht bekannt – darf aber mit italienischer Lässigkeit bezweifelt werden. Mehr Informationen, Daten und offene Fahrzeugtüren gibt es erst zur IAA im September.

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Alfa Romeo Markenvorstand Harald Wester – nicht der erste Deutsche an der Spitze des Unternehmens, wir erinnern uns an den Ex-BMW Manager Karl-Heinz Kalbfell – möchte mit Giulia und weiteren neuen Modellen bewusst gegen den Strom schwimmen. Neue Alfas sollen anders sein, provokanter, polarisierender.

Das nehmen wir zum Anlass und unterhalten uns mit zwei Menschen über die neue Giulia, die beide durchaus Autofans sind, aber dennoch verschiedene Ansprüche an ihr Gefährt stellen.

Der eine ist Manfred, Apotheker aus München und Fahrer eines BMW 3er Touring. Er benutzt seinen Allrad-Diesel für das tägliche Pendeln sowie für Winter- und Sommerurlaube mit der Familie. Der klassische Eroberungskunde also.

Der andere ist Sebastian, Patentanwalt aus Berlin und von Alfa Romeo Virus infiziert. In seiner Garage parken ein 164 Q4 und ganz neu ein 156 GTA (nachdem er leider seinen geliebten 156 2,5 V6 vergangene Woche in das Heck eines anderen Verkehrsteilnehmers geparkt hatte, wurde einfach fix aufgerüstet). Er fährt ganz urban mit dem Fahrrad ins Büro und nutzt seine Klassiker als bewusste Spaßmaschinen. Ob Sebastian auch irgendwo am Körper das Alfa Romeo-Emblem tätowiert hat, entzieht sich leider unserer Kenntnis – wenn ja, muss er nochmal unters Messer – den mit Giulia zeigt Alfa Romeo kommentarlos auch ein modernisiertes Markenlogo.

Autonotizen: Seit einigen Jahren wurden immer wieder große Plane mit Alfa Romeo angekündigt, genauso oft wurden diese wieder verworfen. Konnte man überhaupt noch an ein Comeback der Marke glauben?

Sebastian: Als Alfisti konntest Du ja immer nur hoffen, während Du mit Sorge das Engagement des Fiat-Konzerns in den USA verfolgt hast. Und das Damoklesschwert der Übernahme von Volkswagen hing auch wie eine dunkle Wolke über diesen Hoffnungen. Ducati haben sie schon, gottseidank hat sich Fiat erfolgreich gegen einen Verkauf von Alfa Romeo gewehrt. Es gibt wohl wenige Marken, an die Fahrer und Fans emotional so stark gebunden sind. Wenn Dich die Schlange einmal gebissen hat, kommt für Dich keine andere Marke in Frage. Ich glaube sogar, dass Alfa Romeo bessere Chancen für ein glaubwürdiges und erfolgreiches Comeback hat als Mini unter BMW-Fittichen.

Manfred: Ob man daran noch glauben konnte kann ich gar nicht genau sagen, aber zumindest konnte und durfte man hoffen. Leider ist Alfa Romeo als Marke eigentlich gar nicht mehr im alltäglichen Straßenverkehr präsent. Nicht mal mehr auf die Freitagabendliche Dosis Alfa im Fernsehen kann mehr setzen, seit Matula in „Ein Fall für 2“ abgedankt hat. Umso schöner, jetzt zu sehen, dass die Fiat-Manager doch noch Wort gehalten haben.

Autonotizen: Sind MiTo und Giulietta „echte“ Alfas?

Sebastian: Alfisti hatten schon beim 159 Zweifel, ob das noch ein echter Alfa sein soll. Das als Brera entwickelte Design wurde recht lieblos zum Nachfolger des 156 verarbeitet, um relativ leicht daraus eine Modellfamilie zu kreieren. Effizientes Denken à la Fiat – was ja bekanntlich im kleinen MiTo gipfelte. Die Giulietta war dann wieder ein Hoffnungsschimmer – zumindest ließ sich das Alfa-Lebensgefühl bei einem Neuwagenkauf damit fortsetzen.

Manfred: In meinen Augen sind MiTo und Giulietta zumindest keine klassischen Alfas, da helfen auch all´ die Veloce und QV Modelle nicht viel. Klar fallen diese Modelle auch in eine Zeit, in der die ganze Planung der Gleichteilestrategie untergeordnet war. VW hat das ja auch nicht anders gemacht und differenziert erst jetzt die Modelle wieder stärker. Was für mich den besonderen Reiz von Alfa ausgemacht hat, waren der grandiose Spider in den 80ern und die Sportlimousinen 164 und 156. Danach kam leider nichts mehr, was mein Herz erwärmen konnte.

Autonotizen: Nun hat Sergio endlich die neue Giulia gezeigt: Und das direkt als QV mit von Ferrari entwickeltem 510 PS Motor. Von den Basismodellen hört man noch nichts (1,4 und 1750 Benziner, 2.2L Diesel). Denkst Du, das wird dem Markenbild gerecht oder schiebt man die Erstwahrnehmung nun zu dicht an Maserati?

Sebastian: Die Topmotorisierungen tragen sehr viel zum großen Alfa-Kult bei, daher halte ich das für richtig, den QV als erstes zu zeigen. Das ist auch richtig und wichtig, um Alfa klar als Premium- und Sportmarke von Fiat´s Brot-und-Butter-Autos zu distanzieren. Alfa ist aber nicht Maserati, egal wie viele Anleihen es geben mag – übrigens hat Maserati auch früher schon geholfen, z.B. bei der Optimierung des legendären Arese-V6 (Anmerkung der Redaktion: Er meint den damals viel gelobten V6-Benziner mit bis zu 232 PS, u.a. im Alfa 164).

Manfred: Eine gute Entscheidung, gleich in die Vollen zu gehen und den QV zu zeigen. Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen. 510 PS in einer Mittelklasselimousine, da müssen AMG C-Klasse und M3/M4 aber fix nachlegen, um im Autoquartett wieder stechen zu können. Der QV macht an, nicht nur über das gelungene Design, sondern eben auch über die brachiale High-Tech-Gewalt. Sollte die Erstwahrnehmung nun zu dicht an Maserati sein… wäre das ein Fehler?

Autonotizen: Steht das heilige Label Quadriofoglio Verde in Euren Augen für eine solche Hochleistungsbombe? Hätte man ein vielleicht eher ein extra Sportlabel kreieren sollen und "QV" für z.B. greifbarere 250 PS Versionen aufheben sollen?

Sebastian: Tja… Wo will die Marke hin? Vor 20 Jahren waren 231 PS im 164 QV oder Q4 der echte Knaller – heute reicht das schon lange nicht mehr aus (Der Autonotizen-Redakteur denkt in der Tat auch gerade an Außendienstler, die sich heute einen 240 PS Passat-TDI unter den Hintern schnallen).

Der 156 GTA hat weniger Gewicht und ist mit seinen 250 PS eine echte Waffe – ein schöner Gruß an all die chancenlosen 328i-Fahrer! Heute hat doch jeder Pampersbomer 200 PS und mehr. Ein echter QV muss da schon ein anderes Kaliber sein – wobei die 510 PS vielleicht doch etwas übertrieben sind.

Manfred: Über 510 PS kommt sicherlich nichts mehr klar, was die Giulia aber durchaus gebrauchen könnte, sind sportliche Modelle für den Geradenichtmehrnormalverdiener, z.B. mit um die 250-300 PS. Dafür liegen bei Alfa Romeo ja genügend wohlklingende und positiv besetzte Namen in der Schublade, sei es Sprint, Turismo oder Veloce. Nicht ohne Grund wurden MiTo und Giulietta QV erst kürzlich in Veloce umgetauft.

Autonotizen: Kommen wir zum Design. Wie gefällt Euch Giulia?

Sebastian: Der Hammer! Großartig! Endlich wieder ein echter Alfa.

Manfred: Die Giulia ist richtig schick geworden und schaut klasse aus – besonders von vorne. Aber um mal weniger verklärt zu sein – ein Großteil des Designs folgt schlicht und einfach aktuellen Trends. Man könnte nicht nur eine leichte Ähnlichkeit zum Jaguar XE feststellen, Teile der hinteren Seitenpartie zitieren auch – Entschuldigung – das aktuelle Mazda Design.

Sebastian: … starker Tobak! Diese Ähnlichkeit liegt aber daran, dass Mazda seit dem ersten 6er gerne einen auf asiatischen Alfa macht, also zitiert sich Alfa damit nur selbst.

Manfred: Nebenbei findet sich im aktuellen Mazda 6 auch das BMW 3er-Cockpit irgendwie wieder…

Autonotizen: Ist es das Design, das man als Alfa- und / oder Autofan erwarten konnte? Oder wirkt Giulia vielleicht zu wenig filigran?

Sebastian: Die Front spricht klipp und klar Alfa-Sprache. Das klassische Alfa-Felgendesign wurde gekonnt modernisiert. Nur das Heck ist mir zu gewöhnlich. Insgesamt aber – ich wiederhole mich – großartig.

Manfred: Die Giulia ist klar als Alfa erkennbar. Mir gefällt das Auto sehr gut. Vielleicht ist ein bißchen viel Weichzeichner darüber gelegt worden, ein paar mehr Sicken und Kanten wären fein.

Autonotizen: Noch gibt es keine genauen Preisdetails, aber die ungefähre Aussage, dass man die Giulia auf keinen Fall unter vergleichbaren BMWs einpreisen will. (Ein neuer Trend bei der Wiederbelebung von Marken? Volvo sagt auch, ein XC90 kann und darf nicht weniger kosten als ein Audi Q7)

Sebastian: Als Alfisti kann ich nur sagen. Wenn es ein Alfa sein muss, muss es einfach ein Alfa sein. Basta. 1995 hat ein 164 Q4 96.000 DM gekostet – dafür konnte man beim BMW Händler damals auch einen M5 bestellen. Teuer waren die Alfas also immer schon.

Es ist doch so: Wenn Alfas zu billig angeboten werden würden, dann heißt es „tja, sind halt doch nur schickere Fiat“. Verkaufen die ihre Autos teurer, kommen sofort die unseeligen Vergleiche mit den deutschen Premiummarken. Alles Käse. Wenn die neuen Modelle das echte Alfa-Gefühl mitbringen, dann liegen die Italiener mit ihrer Strategie genau richtig und können gerne einen kleinen Preisaufschlag verlangen.

Manfred: Da stimme ich zu, einen Alfa kaufe ich nicht wegen des Preises. Günstige Autos gibt es wo anders, zum Beispiel bei den Franzosen. Um maximale Rabatte heraus zu handeln, gehe ich z.B. Citroen. In Sachen Fahrspaß ist das aber natürlich eine andere Liga.

Interessant zu sehen, das Alfa Romeo wirklich noch im "Relevant Set" der Autokäufer vorkommt, obwohl mit der Marke jahrelanger Schindluder betrieben wurde. Wir haben geglaubt, dass die Meinungen unserer beiden Interviewpartner weit auseinander liegen, aber dem ist gar nicht so. Mit tollen Modellen wie der Giulia kann Alfa Romeo auch die Herzen von BMW-Fahrern und anderen Kunden erobern.

Die neue Giulia soll ab Dezember bestellbar sein und im Frühjahr 2016 auch an deutsche Kunden ausgeliefert werden. Neben der Limousine wird zeitnah auch ein Kombi auf die Händlerhöfe rollen, der als Studie auch in Frankfurt gezeigt wird. Recht zeitnah folgen nicht nur ein erstes SUV in Q5- und X3-Größe sondern auch eine große Alfa-Limousine, die vor allem auf den US-Markt zielt. 400.000 Autos will Fiat im Jahr 2018 mit Alfa Romeo-Logo von den Produktionsbändern schubsen, was sechsmal so viel ist wie der Ausstoß in 2014 – wir wünschen nicht nur den Managern, dass das klappt – sondern auch dem Straßenbild. „Romeo und Julia“ hat als filmische Neuinterpretation auch neue Zielgruppen erschlossen, Alfas Neustart steht unter einem guten Stern.

Text: Bernd Conrad

Die Autos unserer Gesprächsteilnehmer finden Sie in der Galerie.

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Text: Bernd Conrad