Tage und Nächte mit der Alfa Romeo Giulia: ein Erklärungsversuch.
Die Giulia-Schwestern machen es einem im Dating-Karussell nicht leicht. Welche Schönheit nimmt man mit nach Hause? Ruft man „Super“ und legt sich mit dem Vielfahrer-Dieselmodell aufs Nagelbrett? Oder reichen Fingerspitzengefühl, Geldbeutel und Selbstbewusstsein für die Bodybuilderin – die mit den Kleeblatt-Tattoos auf den Schultern? Für alle, die nichts überstürzen mussten, lohnt sich jetzt der Blick auf die dritte Schönheit im Bunde, die eine Brücke zwischen den schicken Normal-Giulias und der Quadrifoglio schlägt. Aufritt Alfa Romeo Giulia Veloce.
Das Dynamikmodell gibt es mit einem auf 210 PS erstarkten 2,2 Liter Selbstzünder und einem Zweiliter-Turbo-Benziner mit 280 PS. Derart motiviert trat das Auto zum AUTONOTIZEN-Alltagstest an. Als Veloce kommt die Giulia im smarten Sportlook daher – im Trainingsanzug in Form sportlich geschnittener Stoßfänger an Front und Heck, der verlockend über ihre Rundungen fällt, und dunkelgraue Sneakers, ganz Dame mit leichtem Absatz (Mischbereifung, hinten breiter als vorne) macht sie die Straße zum Laufsteg.
Im Innenraum verführt die Italienerin mit einer Symphonie aus Lack und Leder. Dem schwarzen Auto steht das leuchtend rote Lederinterieur erstaunlich gut – eine Farbkombination, wie man sie auch als spießiger deutscher Autoschreiber den Italienern sofort aus den Fingern reißen möchte. Die Sportsitze im Veloce-Modell packen durchaus zu, die ausziehbare Oberschenkel-Auflage sorgt für ausreichend Beinabstützung. Einzig die zu harte Kopfstütze stört auf langen Strecken, entschädigt dafür optisch mit einem sauber eingeprägten Markenlogo.
„Komm´ und setz Dich“ flüstert Giulia mir zu – Zeit zum Fummeln. Beide Hände umschließen das Dreispeichenlenkrad, dass sie mir keck entgegenreckt. Kann man jetzt noch neutral bleiben? Vielleicht, aber mir gelingt es nicht: es gibt aktuell kein Volant, dass man lieber in den Händen hat. Das Alfa Romeo-Emblem hält sich im Innenraum monochrom-dezent zurück, der Materialmix aus Leder und Metall gipfelt im griffigen Stoff-Einsatz an den Daumenmulden. Griffgünstig dahinter liegen die großen, weil feststehenden Schaltpaddels, die aus vollem Metall gefräst sind. Um den Pralltopf herum versammeln sich übersichtlich die Multifunktionstasten für das Audiosystem und die adaptive Geschwindigkeitsregelanlage. Und – links unten – das Zentrum der Lust: der Startknopf.
„Lass uns endlich loslegen, Baby!“ Per Daumendruck erwacht die Giulia Veloce zum Leben. So früh am Morgen streckt und schüttelt sich die Dame kurz, gähnt bollernd aus den beiden dicken Endrohren. Wow. Durchaus geschickt programmiertes Drama für einen Downsizing-Zweiliter-Vierzylinder. Aber dezent genug, um nicht peinlich zu wirken.
Einmal in Fahrt, geraten wir beide in Ekstase. 400 Newtonmeter maximales Drehmoment sind die Dosis, bei der Giulia auf das Vorspiel pfeift. In (werksangegebenen) 5,2 Sekunden stürmt sie auf 100 km/h, erst bei 240 Sachen geht ihr die Puste aus. Nicht alltäglich: auch wenn man aus z.B. 190 km/h auf das Gaspedal tritt, zieht der Alfa Romeo vehement nach vorne, erst kurz vor der angegebenen Spitzengeschwindigkeit verliert sich der Vortrieb im Widerstand aus Mechanik und Wind. Die ZF-Achtstufenautomatik mischt stets die gekonnte Zahnradpaarung unter, degradiert die beiden Schaltwippen zum zumindest hinreißenden Modeschmuck.
„Genug gerannt, lass´ und tanzen!“ Es ist bemerkenswert, wie viel Kurvenspaß eine doch irgendwie ziemlich normale Mittelklasselimousine bieten kann. Giulia lässt Dich immer wissen, dass sie gekonnt-lasziv mit dem Hintern wedeln könnte – aber natürlich hat sie Anstand gelernt. Und zwar vom im Veloce-Modell serienmäßigen Allradantrieb. Leicht hecklastig ausgelegt und stets regelnd zur Stelle hält er seine schützende Hand über zu viel Forschheit, ohne die Party zu crashen. Die Hände am – ich erwähne es einfach nochmal – hautschmeichelnden Lenkrad dirigieren dabei das Theater. Direkt ansprechend und mit ausreichend Rückmeldung zeigt Alfa Romeo, dass man nicht unbedingt die Option einer progressiven Sportlenkung in der Preisliste haben muss – zumindest dann nicht, wenn man das Steuer ab Werk derart fein auslegt. Hier kommt dann auch ein Vorteil des Vierzylinders mit ins Spiel. Durch den Verzicht auf einen (schwereren) Sechszylinder bewahrt sich die Giulia ihre Leichtfüßigkeit.
Das Fahrwerk – der Testwagen trat ohne die optional lieferbaren Adaptivdämpfer an – ist durchaus straff, aber niemals zu unkomfortabel. Nur bei niedrigen Geschwindigkeiten unterhalb von 40 km/h stakst Giulia manchmal unbeholfen durch Mulden oder Wurzelaufrisse im Asphalt – als ob sie mit Stöckelschuhen über Kopfsteinpflaster balanciert.
Ist dieser Weg überwunden, lässt die spaßbringende Kurvenhatz über hügelige Landstraßen vor allem ein Fazit zu: Die Alfa Romeo Giulia Veloce bringt das Go-Kart-Fahrgefühl, für das Mini einst gefeiert wurde, ohne Umwege in die Mittelklasse.
Während die graue Premium-Firmenwagen-Konkurrenz stets weiter ausleiert, stellt Alfa eine durchaus eng geschnittene Spaßlimousine bereit. Der Platz im Fond ist deutlich knapper als bei den deutschen Konkurrenten – Giulia steht eben maximal auf einen Dreier und nicht auf Gruppenausflüge mit vier oder gar fünf ausgewachsenen Kerlen. Babysitterqualitäten legt sie mit leicht erreichbaren Isofix-Verankerungen und ausreichend Höhe für eine Kindersitzmontage unter dem Dachhimmel aber dann doch an den Tag.
Als Veloce-Modell ist die Giulia also zwei Autos in einem: Sie schafft den Spagat zwischen der alltagtauglichen Business-Limousine, mit der man sympathisch-wertfrei beim Kunden vorfahren kann (versuchen Sie das mal mit einem Jaguar XE) und dem Spaßmobil, das Dich öfters mal spät abends aus dem Wohnzimmersessel lockt – weil dann die Straßen so schön frei sind.
„Komm´ mal wieder runter!“ – das klappt doch am besten in der Meckerecke. Nachdem die Sabberfäden in den Mundwinkeln ein Stück weit getrocknet sind, fällt auf, dass der Kunststoff um den Wählhebel der ZF-Automatik arg sparsam kalkuliert wurde. Und das Harman/Kardon-Soundsystem dürfte trotz 900W Leistung, 14 Lautsprechern und saftiger 1.250 Aufpreis kräftiger klingen und das Knacken im Hochtöner links vorne sein lassen. Zumindest geht dann der überholte Spurverlassenswarner, der beim Überfahren des Begrenzungsstreifens dumpf dröhnt, nicht unter.
Alle anderen Assistenten funktionieren prima. Der Rückfahrkamera genügt zwar ein kleines, unscharfes Bild im zentralen Display des Infotainment-Systems, aber man glaubt es kaum: dennoch lässt sich die Giulia prima aus allen Lücken zirkeln! Die adaptive Geschwindigkeitsregelung ist leicht bedienbar und hält Tempo und Abstand zum Vordermann zuverlässig, die Verkehrszeichenerkennung im schnell rechnenden Navigationssystem stellt sich fix auf die Straßenschilder ein.
Natürlich ist auch ein Topmodel heutzutage digital vernetzt: Die Anbindung des Smartphones klappt hervorragend und Apple Car Play setzt die Musikwiedergabe stets auf Anhieb an der vorher unterbrochenen Stelle fort. In diesem Zusammenhang fällt das einzige Element am und im ganzen Auto auf, bei dem die Form der Funktion folgt: der einsame USB-Anschluss in der Mittelkonsole wirkt deplatziert, ist aber prima erreichbar.
Wer mit Giulia ausgehen darf, muss sie natürlich auch auf ein paar Drinks einladen. Vor allem, wenn man sie Richtung in Stimmung gebracht hat, sie nicht nur gestreichelt, sondern auch mal getreten wird, bekommt sie Durst. Der artet aber nicht aus: Maximal 13,5 Liter und 10,7 Liter im Test-Durschnitt sind nicht asketisch, angesichts von 280 PS ein akzeptabler Wert.
Auch bei der Preisgestaltung schlägt Alfa Romeo nicht über die Stränge: Mit 47.800 Euro Grundpreis ist die Giulia Veloce selbstbewusst kalkuliert, aber immer noch günstiger als die deutschen Konkurrenten. Ein BMW 330i M Sport kostet mit Lederausstattung, aber ohne xDrive, 49.560 Euro, ein Audi A4 S-Line quattro mit S-tronic 50.800 Euro. Beide haben wie der Alfa einen aufgeladenen Zweiliter-Benziner unter der Haube, aber mit jeweils 252 PS geringfügig weniger Leistung.
Mit dem schnöden Preisvergleich schließt diese Predigt überraschend unerotisch. Der Kater am Morgen danach? Nicht doch – eher bewusste Abgeklärtheit. Falls es jemandem aufgefallen ist – über das Design der Alfa Romeo Giulia wurden in den vorangegangenen Zeilen nicht viele Worte verloren. Schaut Euch einfach die Fotos an! Und vergesst ab und zu das Atmen nicht.
Wer dann noch nicht genug hat: Das Video zum Alltagstest der Alfa Romeo Giulia Veloce gibt es unter der Bildergalerie oder direkt auf dem AUTONOTIZEN YouTube-Kanal .
Titelzitat aus "Der Fischer" von Johann Wolfgang von Goethe.
Technische Daten
Alfa Romeo Giulia Veloce 2.0 Turbo |
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Hubraum | 1.995 ccm |
Anzahl und Bauform Zylinder | 4 in Reihe |
Maximale Leistung kW / PS | 206 kW / 280 PS bei 5.250 U/min |
Max. Drehmoment | 400 Nm bei 2.250 U/min |
Getriebe | 8-Stufen-Automatik |
Beschleuningung 0-100 km/h | 5,2 Sekunden |
Höchstgeschwindigkeit | 240 km/h |
Norm-Verbrauch auf 100km | 6,4 Liter |
Verbrauch real auf 100km | 10,7 Liter |
Reifenmarke und –format des Testwagens | Pirelli Cinturato P7 225/45 R18 (v), 255 / 45 R18 (h) |
Leergewicht | 1.605 kg |
Länge / Breite / Höhe | 4.643 / 1.860 / 1.450 mm |
Grundpreis | 47.800 Euro |
Testwagenpreis | 57.015 Euro |