In der Premium-Mittelklasse gibt es mit Alfa Romeo Giulia und Genesis G70 schicke Alternativen. Doppeltest mit Video-Review.
In der Premium-Mittelklasse sind die Rollen klar verteilt. Nicht nur auf den Wunschzetteln der Firmenwagenfahrer, sondern auch in der Car Policy ihrer Arbeitgeber werden zumeist Audi A4, BMW 3er und Mercedes-Benz C-Klasse aufgeführt. Da bleibt kaum Platz für andere Anbieter. Der Lexus IS hat es lange versucht und wurde mit dem letzten Modellwechsel aus dem europäischen Programm genommen. Infinity, das Luxuslabel von Nissan, hat sich nach kurzem Intermezzo ganz aus Europa zurückgezogen.
Da bleibt Individualisten bislang nur die Alfa Romeo Giulia. Seit 2017 wird die Limousine verkauft, der große Erfolg blieb bislang aus. Im Zeitraum Januar bis einschließlich Oktober wurden hierzulande gerade einmal 763 Giulias erstmals zugelassen. Zum Vergleich die Zahlen der deutschen Mitbewerber in den ersten zehn Monaten dieses Jahres: Audi A4 20.789, BMW 3er 37.963, Mercedes-Benz C-Klasse 18.381 (mit Modellwechsel).
Giulia und G70 im Video
Trotz dieser widrigen Voraussetzungen meldet mit der koreanischen Marke Genesis, die zur Hyundai Motor Group gehört, ein weiterer Anbieter den Wunsch an, im deutschen Premiummarkt mitzumischen. In der Mittelklasse soll es der G70 richten. Ein ganz neues Auto ist der Genesis G70 nicht. Seit einigen Jahren ist er in Asien und in Nordamerika bereits auf den Markt, zeitgleich mit dem Europastart bekommt die Limousine aber ein umfangreiches Facelift.
Welche der beiden Alternativen in der Mittelklasse bietet das bessere Angebot für Menschen, die ein Auto abseits des Mainstreams suchen?
Alfa Romeo Giulia
Alfa Romeo hat sich 2016 mit einer neuen Plattform für Giulia und Stelvio zurückgemeldet. Als fahrdynamische Mittelklasselimousine hält die Giulia seitdem die traditionellen Werte der italienischen Marke hoch. Auch fast fünf Jahre später steigt man noch freudig ein, nachdem man sich am Design kaum sattsehen kann.
Die Sitzposition hinter dem steil stehenden Lenkrad passt wie angegossen, die in tiefen Tuben liegenden Rundinstrumente sind hervorragend ablesbar. Mit dem letzten Update zog ein Infotainment-Update ein, das größere Display ist jetzt serienmäßig. Dennoch hinkt Alfa Romeo hier der Konkurrenz hinterher. Mit Touchscreen und präzisem Dreh-Drück-Steller auf der Mittelkonsole ist in der Theorie alles wunderbar. Die trägen Reaktionen des Bildschirms und die tristen Anzeigen, die je nach Lichteinfall schlecht ablesbar sind, machen jedoch keine Freude. Also schnell den Startknopf drücken, der ergonomisch perfekt im Lenkrad sitzt. Seltsam, dass außer Cupra nicht noch mehr Marken darauf gekommen sind.
Fahrspaß im Vierzylinder
Der zwei Liter große Vierzylinder-Benziner leistet in der Ausstattungslinie Veloce 206 kW / 280 PS. Die versammeln sich auch stets alle zum Dienst, wenn der Fahrer aufs Gaspedal drück. 400 Newtonmeter maximales Drehmoment stehen ab 2.250 U/min bereit, die von der ZF-Achtgangautomatik kompetent verwaltet werden.
Genug Leistung ist immer da, dazu klingt der Motor angenehm kernig, ohne zu nerven. Bei Volllast quittiert die Abgasanlage mit den beiden dicken Endrohren Schaltwechsel mit einem herrlich dumpfen „Plopp“. Das sind die Emotionen, die Alfa Romeo bislang ausmachen.
Das Fahrwerk sorgt für gute Rückmeldung von der Straße. Da bietet es sich an, auch im Dynamic-Fahrmodus auf Knopfdruck die Dämpfereinstellung auf „Soft“ zu stellen. Spätestens jetzt ist die Giulia Veloce dem perfekten Kompromiss aus Sport und Komfort ganz nahe.
Die mit optionalem Leder bezogenen Sitze bieten tollen Seitenhalt, die ausziehbare Oberschenkelauflage unterstützt lange Beine und Fahrer und Beifahrer. Hinten steht ausreichend Platz für zwei Mitfahrer zur Verfügung, ohne dass sich der Alfa Romeo als Chauffeurslimousine empfehlen will. Wem die 480 Liter Gepäckraum nicht ausreichen, kann 1.600 Kilogramm Anhängelast an den Haken nehmen.
Kein günstiges Vergnügen
Selbstbewusst wie den Auftritt inszenieren die Italiener auch den Preis. Die Logik dahinter scheint klar: Wenn die Giulia ein paar Tausender günstiger wäre, dürften die Verkaufszahlen auch nicht explodieren. Also wird mit den Autos Marge gemacht – oder dem Händler die Möglichkeit für attraktive „Hauspreise“ gegeben.
Wir halten uns an die Preisliste bzw. den Konfigurator. Mit 280 PS starkem Benziner und Hinterradantrieb (Allrad optional) kostet die Alfa Romeo Giulia Veloce ab 53.000 Euro. Mit optionaler Lackierung, optischen Zutaten wie Felgen im „Classico“ Design und gelben Bremssätteln, Assistenzpaket, Navigationssystem und weiteren Extras summiert sich der Testwagenpreis auf 63.050 Euro.
Genesis G70
Da wirkt der Koreaner günstiger. Der Genesis G70 kommt als 245 PS starker Zweiliter-Turbo mit Allradantrieb in der Ausstattungslinie Luxury zum Vergleich. 48.490 Euro kostet die Limousine in der Grundausstattung. Viele Annehmlichkeiten wie Nappaleder mit elektrischen Sitzen samt Memory-Funktion, adaptive LED-Scheinwerfer, 3D-Instrumente und Lexicon-Soundsystem packt der Newcomer aber auch auf die Optionsliste, Teils in Pakete geschnürt. 55.790 Euro kostet der Genesis G70 auf den Fotos und im Video.
Dieser Preis ist bei Genesis auch ein Festpreis, verhandelt wird nicht. Egal, ob man das Auto online oder im einzigen deutschen Showroom in München kauft – es gilt stets der gleiche Tarif. Dazu gibt es nicht nur fünf Jahre Garantie (Alfa Romeo auch gute vier Jahre), sondern auch die Wartungen mit Hol- und Bringservice für den gleichen Zeitraum.
Wie der Alfa Romeo nutzt der G70 eine Hinterradantriebs-Plattform. Doch nicht nur der breite Mitteltunnel, auch die kürzere und flachere Karosserie sorgen für beengte Platzverhältnisse im Fond. Für Knie und Kopf steht hier deutlich weniger Raum zur Verfügung.
Gute Bedienstruktur im G70
Vorne ist es deutlich bequemer. Auf edlem Gestühl mit elektrisch verstellbarer Oberschenkelauflage blickt man auf ein modernes Cockpit mit großen Displays. Die Bedienung des Infotainmentsystems über den Touchscreen kennt man aus diversen Modellen der Schwestermarken Hyundai und Kia. Dass der G70 im Vergleich zu anderen Genesis-Baureihen eine ältere Konstruktion ist, merkt man am fehlenden Dreh-Drück-Steller. Dafür gibt es physische Tasten für einzelne Menüpunkte.
Im Rahmen des aufpreispflichtigen Technikpakets bringt der G70 ein 3D-Kombiinstrument mit. Eine nette Spielerei, wichtiger und richtig gut sind aber das Head-up Display und der Totwinkelassistent mit Monitoranzeige. Nach dem Setzen des Blinkers senden Kameras Bilder der jeweiligen Fahrzeugseite in die animierten Rundinstrumente.
Der Genesis ist durstiger
Der aufgeladene Vierzylinder-Benziner ist ein alter Bekannter, er arbeitete auch in Kia Stinger und Optima. Im Vergleich zum Alfa-Motor fällt sein rauer Lauf auch deswegen auf, weil der Genesis sonst viele Geräusche draußen lässt. Bei der Fahrdynamik hat er auf dem Papier kaum das Nachsehen, gefühlt ist der G70 aber doch träger als die Giulia. Auch bei der schnellen Kurvenhatz hängt die Italienerin ihn ab. Fast 240 Kilogramm Mindergewicht lassen sich halt nicht wegzaubern. Ohne Allradantrieb wäre der G70 auch noch 171 kg schwerer als der Alfa Romeo.
Kann der Genesis dann aber beim Verbrauch punkten? Leider nein. Im Testalltag genehmigte sich der G70 fast elf Liter Super je 100 Kilometer. Der Alfa Romeo ist mit 9,6 Litern auch nicht eben sparsam, aber doch asketischer als sein Konkurrent.
Geht weniger? Ja: Und zwar in den G70-Kofferraum hinein. Dessen Volumen liegt mit 330 Litern unter dem der meisten Kompakten. Auch er kann bei Bedarf Anhänger ziehen. Die dürfen maximal 1.500 Kilogramm schwer sein.
Fazit
Alfa Romeo Giulia und Genesis G70 sind beides gute Autos und zeigen, dass Individualismus in der Mittelklasse Spaß machen kann. Beide haben ihren eigenen Charakter. Der Genesis setz auf Komfort und modernste Infotainment-Technik, während Alfa Romeo seine Kunden mit dynamischen Fahrverhalten und einer ausgewogenen Fahrwerksabstimmung abholt. Bei Infotainment und Fahrassistenz hat die Giulia leichten Rückstand, punktet aber mit mehr Platz für Insassen und Gepäck.
Der höhere Preis des Alfa Romeo dürfte so nur auf dem Papier oder im Konfigurator eine Hürde sein, da die Händler der Marke hier sicherlich Verhandlungsbereitschaft zeigen.
Technische Daten
Alfa Romeo Giulia 2.0T Veloce // Genesis G70 2.0T AWD Luxury |
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Hubraum | 1.995 ccm // 1.998 ccm |
Anzahl und Bauform Zylinder | 4 in Reihe |
Maximale Leistung kW / PS | 206 kW / 280 PS bei 5.250 U/min // 180 kW / 245 PS bei 6.200 U/min |
Max. Drehmoment | 400 Nm bei 2.250 U/min // 353 Nm bei 3.500 U/min |
Getriebe | Achtgang-Automatik |
Tankinhalt | 58 Liter // 60 Liter |
Beschleuningung 0-100 km/h | 5,7 Sekunden // 6,6 Sekunden |
Höchstgeschwindigkeit | 240 km/h |
Norm-Verbrauch auf 100km | 7,0 - 7,7 Liter // 8,0 - 8,8 Liter (nach WLTP) |
Verbrauch real auf 100km | 9,6 Liter // 10,8 Liter |
Leergewicht | 1.504 kg // 1.740 kg |
Anhängelast (gebremst) | 1.600 kg // 1.500 kg |
Länge / Breite / Höhe | 4.650 / 1.860 / 1.438 mm // 4.685 / 1.850 / 1.400 mm |
Grundpreis | 53.000 Euro // 48.490 Euro |
Testwagenpreis | 63.050 Euro // 55.790 Euro |