Elektroautos stellen neue Anforderungen an ihre Reifen und deren Entwickler.
Auch viele Skeptiker sind meist positiv angetan, wenn sie die ersten (Kilo-)Meter in einem Elektroauto zurücklegen. Die unmittelbare Leistungsbereitschaft des Antriebs und die lineare Kraftentfaltung, gepaart mit dem leisen Antrieb, sorgen für Fahrspaß. Und für zügiges Vorankommen.
Besondere Anforderungen stellen Elektroautos an ihre Reifen. Das beginnt schon bei der Entwicklung der Gummimischungen. „Bei Elektrofahrzeugen (…) gibt es signifikante Unterschiede im Fahrzeugkonzept gegenüber dem herkömmlichen Powertrain. Dazu gehören der tiefe Schwerpunkt durch das Batteriepaket, die geringere dynamische Achlastverlagerung das hohe Drehmoment am Rad oder auch die veränderte Fahrzeuginnenraumakustik“, erklärt Stephan Rambow, Account Executive PKW OE beim Reifenhersteller Bridgestone.
"Frisst" der BMW i3 Reifen?
Im täglichen Fahrbetrieb sind die Abrollgeräusche in der Tat ein für Umsteiger vom Verbrenner ungewohntes Geräusch, da diese sonst teilweise vom Motorgeräusch überdeckt werden oder sich die entsprechenden Frequenzen des Schalls teilweise auflösen.
Ein weiterer Punkt ist das hohe Drehmoment. AUTONOTIZEN erreichten Klagen von Lesern, die beispielsweise an einem „normal bewegten“ BMW i3S-Neuwagen nach 15.000 Kilometern neue Reifen benötigen, da diese vor allem an der Antriebsachse bis zur Verschleißgrenze abgefahren sind.
Diese Herausforderung nennt auch Andreas Schlenke von der Reifenentwicklung bei Continental: „Beim Anfahren bringen sie (die Elektroautos, Anm.v.V.) mehr Drehmoment auf die Straße, tendenziell lässt das den Reifenverschleiß steigen.“
Der Autohersteller BMW sieht kein generelles Problem, sondern appelliert an den rechten Fuß des Fahrers: „Wer das verfügbare Leistungsangebot des BMW i3 intensiv nutzt, muss wie bei jedem anfahr-starken Automobil mit erhöhtem Reifenverschleiß rechnen. In Extremfällen kann die von Ihnen beschriebene Laufleistung zutreffen“, lautet die Antwort aus dem BMW i – Hauptquartier in München. Erstausrüster der Reifen für den BMW i3 und i3S ist Bridgestone.
Neues Denken beim Reifenformat
Auch Fälle anderer Elektroautos, darunter Kia e-Niro und Hyundai Kona Elektro, mit erhöhtem Reifenverschleiß sind bekannt. Reklamationen bei den Händlern, Herstellern oder Importeuren sind oft wenig zielführend, da stets (und teils berechtigterweise, da nicht nachvollziehbar), der Fahrstil des Kunden als Grund genannt wird. Nicht nur beim Material, auch bei der Form muss teilweise neu gedacht werden. Das klasse Breitreifen ist bei vielen Elektroautos bauartbedingt gar nicht möglich, was auch das Beispiel BMW i3 zeigt.
„Reifenbreite und Außendurchmesser stehen bei BEVs in einem Dimensionszielkonflikt. Sie dürfen am Fahrzeug nicht nach innen wachsen
, da hier das Batteriepaket im Weg ist, und aufgrund der gesetzlichen Vorschriften ebenso nicht nach außen. Auch daher zeichnen sich diese Reifen tendenziell durch einen großen Durchmesser und eine schmalere Reifenbreite aus. Vornehmlich fördert der große Durchmesser jedoch die Tragfähigkeit und einen bei gleicher Breite geringen Rollwiderstand“, beschriebt Bridgestone-Manager Rambow die Herausforderungen. Teilweise kann das übrigens auch auf Autos mit Verbrennungsmotor übertragen werden. Der geringe Rollwiderstand ist der Grund, warum der Kompaktvan Renault Scénic serienmäßig auf verhältnismäßig schmalen 20-Zoll-Rädern steht.
Audi e-tron mit viel Auswahl
Das im Vergleich zu Verbrennern höhere Gewicht muss bei der Wahl eines Reifens am Elektroauto ebenfalls bedacht werden. Die von den Herstellern freigegebenen Gummis haben meist eine höhere Traglast. Dennoch lassen sich aber, vor allem bei den E-Autos der Premiumhersteller, viele kostspielige Rad-Reifen-Kombinationen in der Aufpreisliste aussuchen. Audi bietet für den e-tron bis zu 21 Zoll große Leichtmetallräder an.
Ein Sprecher der Ingolstädter, die bei ihrem gewichtigen Elektro-SUV mit Bridgestone, Continental und Goodyear zusammenarbeiten, erklärt: „Die Anforderung an die Flanke ist beim Audi e-tron grundsätzlich nicht anders und wird auch hier nur so steif wie notwendig ausgelegt. Denn: Die Tragfähigkeit des Reifens wird fast nur durch das Luftvolumen innerhalb des Reifens bestimmt, die Steifigkeit der Seitenwand spielt dabei eine eher kleine und untergeordnete Rolle. Die Auswahl der richtige Reifendimensionen hinsichtlich Durchmesser, Reifenbreite und der Felgengröße ist für die Tragfähigkeit von größerer Bedeutung.“
An die Reichweite denken
Wer große Felgen auf breiten Reifen ordert, sollte aber weiter oben nochmal die Sache mit dem Rollwiderstand nachlesen. Denn für die Jagd nach zusätzlichen Kilometern bei der Reichweite eines Elektroautos nutzen alle Fahr- und Spartipps nichts, wenn die Gummiwalzen die Bemühungen wieder zunichtemachen.
Lässt sich pauschal sagen, dass Elektroautos härter mit ihren Reifen umgehen? Das kann man so nicht im Raum stehen lassen. Letztendlich spielt auch der Fahrstil eine Rolle. Aber wir werden das beobachten und bleiben "am Ball".
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