Schnell fahren, ohne zu rasen High Miles Club auf dem Boden

Eine Verteidigung des schnellen Autofahrens. Mit einer Kritik an Raserei.



Lassen Sie mich mit ein paar Vorurteilen aufräumen. Eines davon: Deutschland ist das einzige Land der Welt ohne Tempolimit auf den Autobahnen. Das ist nämlich gar nicht der Fall. Sogar in Europa gibt es eine weitere Region ohne Geschwindigkeitsbegrenzung. Auf der Isle of Man in der Irischen See darf man so schnell fahren, wie man möchte. Auf Landstraßen! Als vor einiger Zeit ein deutscher Autohersteller dort sein neues Coupé vorstellte, wurde von den Organisatoren auf den extra abgesperrten Straßen übrigens ein Tempolimit verordnet, an das sich die testfahrenden Journalisten halten mussten.

Die Liste der weiteren Länder ohne erlaubte Höchstgeschwindigkeit liest sich fremder. Einige indische Bundesstaaten haben kein Tempolimit, ebenso wenig Bhutan, Myanmar, Nepal und Nordkorea in Asien. Die afrikanische Republik Burgundi, Afghanistan, Haiti, Mauretanien, Somalia und der Libanon zählen auch dazu.

Klar: Nirgendwo in diesen Ländern oder Regionen gibt es ein Autobahnnetz, das den deutschen Gegebenheiten auch nur annähernd entspricht.
Ein weiteres Vorurteil: Auf deutschen Autobahnen kann man überall so schnell fahren, wie es geht. Tatsächlich sind weniger als 40 Prozent des Streckennetzes ohne Tempolimit, und dann muss es dort natürlich auch staufrei sein.

In der Bildergalerie: Der Ü-300-Club der AUTONOTIZEN-Testwagen:

Vorurteil Nummer drei: Wer schnell fährt, ist ein Raser. Jein. Die deutsche Autoindustrie hat ihren weltweit guten Ruf natürlich auch durch die hohe Leistungsbereitschaft ihrer Autos. Das heißt aber nicht, dass wir alle wie wild durch die Gegend bohren. Sie etwa?

Auch mit Tempo 100 kann man rasen. Wenn man zum Beispiel komplett verantwortungslos mit eben diesem Tempo in eine Autobahnbaustelle hineindonnert, das Tempolimit 60 ebenso wenig beachtet wie die schmaleren Spuren und den Stresslevel, den das bei vielen Autofahrern auslöst. Da wird durch aufgefahren und überholt als ob es kein Morgen (oder keine Außenspiegel) gäbe.

Auch das auf nur wenige Meter dichte Auffahren gehört zu den gefährlichsten Manövern auf der Straße. Eine Disziplin, die übrigens viele Südeuropäer auf ihren (tempolimitierten!) Autobahnen täglich üben.Natürlich ist auch der Linke-Spur-Bummler kein Paradebeispiel des guten Autofahrers, noch schlimmer sind aber die Nicht-Blinker auf der Autobahn (das bedarf aber eines eigenen Aufsatzes).

Mit größtmöglicher Voraussicht, einem trotzdem defensiven Verhalten und einem halben Zeh kurz vor dem Bremspedal kann man – wenn es die Verkehrslage zulässt! – durchaus sehr schnell fahren, ohne zu rasen.

Auch bei AUTONOTIZEN gab es schon Testwagen, die eine Höchstgeschwindigkeit von über 300 km/h hatten. Der Audi R8 etwa, der Ferrari California T oder kürzlich der famose Nissan GT-R . Aktuell ist die Alfa Romeo Giulia Quadrifoglio zu Gast, die laut Werk 307 km/h läuft.

Schnell fahren Kommentar Raserei High Miles Club

Das Video oben zeigt einen Ausritt mit dem Alfa auf der Autobahn bis Tempo 294. Warum nicht 300 oder mehr? Der Wagen kann das, seid versichert. Dafür braucht er aber einigen Anlauf und eine lange gerade Strecke. Die haben wir in Bayern meist nicht, da sich entweder kommunale Politikgrößen oder brütende Tauben einem Autobahnausbau in den Weg legen und sich das Asphaltband oftmals durch die Landschaft und Regularien schlängelt.
Dann ist da auch noch der Verkehr. Ich spreche nicht von dem wohl „komplett offenen“ BMW M5- Testwagen, der bei Tacho 290 per Lichthupe den Macker heraushängen lässt und dann in der Tat mit deutlich über 310 km/h vorbeidonnert, sondern jeden anderen PKW oder LKW.

Einerseits rechnet der normal vor sich hinfahrende Mensch nicht mit einem derart großen Geschwindigkeitsüberschuss. Dann vergessen wie gesagt einige zu blinken – und Du kannst Dir nicht sicher sein, ob er nach der unbedarften Eroberung der Mittelspur auch einfach nach links zieht. An Fahrfehler (auch eigene!) oder Reifenplatzer denken wir jetzt einfach mal nicht.

Dazu kommt die Topographie. Eine langgezogene Autobahnkurve, die man mit auch schon sehr schnellen 220 km/h je nach Auto gut nehmen kann, wird bei knapp 300 zum gefühlten Abbiegevorgang. Außerdem wird alles gefühlt viel enger. Volle Konzentration ist gefragt. Macht das Spaß? Auf Dauer nicht, dazu stehe ich.

Ein generelles Tempolimit auf deutschen Autobahnen lehne ich ab. Gut geschulte Autofahrer, per Hauptuntersuchung kontrollierte Autos und ein faires Miteinander auf den Straßen lassen durchaus längere Strecken im Tempobereich 160 bis 200 zu. Darüber wird es stressig, darunter aber auch. Zu viele Menschen lassen sich beim „Langsamfahren“ (was es übrigens nicht ist, auch 100 km/h können bei einem Aufprall tödlich sein!) zu leicht ablenken.

Schnell fahren Kommentar Raserei High Miles Club

Vorsicht sollte man an bestimmten Stellen walten lassen. Auf der A3 am Frankfurter Flughafen zum Beispiel. Da starten Asiaten oder Amerikaner völlig müde nach einem Transatlantikflug in der Economy-Klasse ihre Mietwagen und geben Vollgas. Gleiches gilt für die A8, von Österreich kommend. Hier sind es vor allem deutsche Urlauber, die nach zwei Wochen Limit jetzt unbedingt sofort ab dem Grenzschild so schnell fahren wollen wie es geht.

Das lässt sich beides nicht abstellen. Aber im Hinterkopf behalten. Genauso sollte man Toleranz für langsamere Autos und / oder entspannte Fahrer haben. Auch wenn man diesen Respekt meist nicht in umgekehrter Richtung erwarten darf, schnell als Raser abgestempelt wird.

Ihr seht im Video: Auch eine Giulia Quadrifoglio hält auf der Straße das Versprechen aus dem Datenblatt. Das kann man mal ausprobieren. Aber auch sehr gerne langsamer fahren. Was nicht heißt, dass man weniger sportlich unterwegs ist. Als Beweis empfiehlt sich die Lektüre zum Markenbruder Alfa Romeo 4C Spider . „Nur“ 240 PS stark, aber noch schneller als laut. Oder man kann sportlich eine Passstraße wie die Transfagarasan im Mazda MX-5 unter die Räder nehmen.

Das war es zum Thema Schnellfahren. Gegen Tempolimit. Und vor allem gegen Raserei. Textverarbeitungsprogramm aus. Shitstorm an?

Teile das!
Text: Bernd Conrad
Bilder: Karin Zipperling (3), Andreas Hof (1), Bernd Conrad (4)